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Stellen Sie sich dieses Bild vor: Ein großer, klarer und leuchtender Kristall zerbricht. Viele Splitter bedecken den Boden, jeder einzelne von der Klarheit und Helligkeit des Ganzen durchdrungen. Jedes Teilstück ist anders geformt und fordert das genauere Betrachten heraus. So ist es mit Irene Roys zweiteiliger Buchreihe "Gedankenexpressionen".
Die Autorin merkt an: "Gedankenexpressionen" ist eine Artikelsammlung zu unterschiedlichen Teilbereichen. Dabei beziehe ich meine Themen aus dem täglichen Leben – aus Beobachtung, Erzählung, Schlussfolgerung.
Die Autorin spricht Sie an, ja genau Sie. Und mich. Und fragt mit der Klarheit eines Kristallsplitters: "Wie schaffen Sie ein Problem?" Ja, wie geht man damit um, mit den Zweifeln an einem guten Leben? Wie wehrt man sich gegen die Zufriedenheit? Einige heikle Fragen.
Die in Wien lebende Autorin Irene Roy geht der Sache auf den Grund, fragt unverfroren – und man ist in der Defensive. Ja, wie schafft man sich jeweils ein Problem, das man eigentlich nicht hätte?
Die Texte in diesem Buch sind nicht durchaus fragende. Es sind Gedanken. Und vor allem solche Gedanken, die eigene Gedanken einfordern.
Fühlen Sie sich weitergetrieben und in Richtungen katapultiert, die Sie nicht einschlagen wollten? Ist Willenlosigkeit ein Schlagwort Ihres Daseins, dann lesen Sie "Billardkugel, Flipperkugel". Der Splitter mit dieser Überschrift tut, was ein Kristall im Allgemeinen tut: er erhellt.
Irene Roys Texte vermitteln den Eindruck, ein uns unbekannter Mensch würde sich vor uns hinstellen und Fragen stellen. Und zwar die richtigen Fragen. Oder ein Passant, den wir eigentlich nicht beachtet hatten, zupft uns am Ärmel und spricht ohne Umschweife genau den Punkt an, den wir als wund empfinden. Dringt wie ein Splitter direkt zu den wunden oder verdrängten Punkten vor. Zielgerichtet und ohne Schnörkel. Er könnte über "Selbstentwertung" sprechen oder Ihnen eine präzise "Anleitung zum Missverstehen" geben. Man hat sich vielleicht nie Gedanken darüber gemacht, wie man "Beziehungen künstlich beatmen" könnte, obwohl man es seit Jahren tut.
Irene Roy spielt das Spiel mit der Sprache auf sehr interessante Art. Sie versteht sich auf das Benennen, und das ist eigentlich selten. Damit macht sie Mechanismen sichtbar, die sonst verborgen laufen und ein sonderbares Mobile an Gewohnheiten und Ängsten antreiben.
Unsere Leseempfehlung: (Werbung) Trockenhumorig und eindringlich, sprachlich sehr gewandt und dazu kurzweilig zu lesen. Es macht Freude, Irene Roys "Gedankenexpressionen" aufzulesen. Die Taschenbuch-Ausgaben umfassen 200 bzw. 250 Seiten und wurden Ende April 2024 herausgegeben. "Gedankenexpressionen" gibt es auch als E-Books. Die Titel lauten im Einzelnen:
– Gedankenexpressionen Teil 1: Ordnen Sie Ihren Gedankenschrank
– Gedankenexpressionen Teil 2: Ecken und Kanten sind eine runde Sache
Ordnen Sie Ihren Gedankenschrank. Trennen Sie sich von Ballast. Behalten Sie, was Ihnen guttut. Schaffen Sie Platz für Neues. Verschaffen Sie sich Klarheit. Ändern Sie bei Bedarf Ihr Lebenskostüm. Nehmen Sie sich wichtig, ohne sich wichtig zu machen.
KÖRPER
Ihr Körper ist mehr als eine mobile Kommode, in der Organe, Wasser, Blut, Nerven, Zellen, Gehirn und sonstige Zutaten aufbewahrt werden. Er ist das Sprachrohr Ihrer Seele, flüsternd, schreiend, protestierend, schweigend.
Er plustert, tobt, sinkt in sich zusammen, bäumt sich auf, wechselt die Farbe. Ist mehr oder weniger gut sichtbar, geformt, elegant, drahtig, plump.
Sie entscheiden, ob er Freund, Feind, Vertrauter, Gegner, Unterstützer ist. Nehmen Sie ihn an, lehnen Sie ihn ab, hassen Sie ihn, lieben Sie ihn, pflegen Sie ihn, zerstören Sie ihn. Tun Sie, wie sie meinen, eines können Sie nicht: Sich von ihm trennen, solange Sie leben.
Der Körper ist das Instrument, auf dem die Stimme spielt, gestimmt, verstimmt, bestimmt, unbestimmt. Sie sind gut beraten, sich mit ihm zu verbünden. Gegenwind kommt von selbst, Sie brauchen nicht Alles selbst zu machen.
Geist, Körper, Seele, eine Seilschaft. Der Absturz eines davon reißt Alle mit. Dellen, Löcher, Beulen, Brüche, Verrenkungen – unsichtbar und doch schmerzlich vorhanden.
Der Körper ist Ankläger, Verteidiger, Spiegel. Er signalisiert Befinden, Stil, Botschaft, Ansinnen. Zeigt Stärke, Schwäche, Zögern, Unsicherheit. Blamiert Sie gnadenlos, führt Sie vor, gibt Sie preis.
Sie können ihn verhüllen, entblättern, kaschieren, verkleiden, entstellen, verstellen. Er kann sich nicht wehren und wenn Sie es nicht erwarten, schlägt er zurück. Er zeigt Ihnen täglich, dass die Schwerkraft funktioniert, stellt Sie vor benutzerunfreundliche Spiegel, testet Ihr Selbstbild.
Vergleichen Sie nicht, hadern Sie nicht, seien Sie dankbar, dass Sie einen Körper haben, schätzen Sie, was daran funktioniert, unterstützen Sie ihn bei seinen Bemühungen.
Luft nach oben gibt es immer, es ist Ihr Kopf, der eine Vorstandssitzung einberuft und entscheidet, wie die Firma Körper zu führen ist und welche Ressourcen vorrätig oder anzuschaffen sind.
Sparen Sie Ausreden, in derselben Zeit können Sie tun. Bewahren Sie Contenance, wenn Ihre Hand die Ladung auf dem Besteck öfter im Mund ablegt als Ihnen guttut. Firma Körper hat es genehmigt.
Wenn Sie vergeblich nach äußeren Werten suchen, stülpen Sie Ihr Inneres nach außen. Wenn es auch da düster aussieht, löschen Sie Bisheriges. Eine bereinigte Festplatte hat mehr Speicherplatz für Neues.
Sollte Ihre Außenwirkung überschaubar sein, nehmen Sie sich Ihrer an. Echo führt kein Eigenleben.
Sie sind ein Unikat, mit dem Ablaufprodukt Körper und der Unendlichkeit Geist und Seele. Ziehen Sie in der Endlichkeit Spuren der Unendlichkeit. ...
Ecken und Kanten sind eine runde Sache. Seien Sie echt, seien Sie selbst. Nutzen Sie Ihre Stärken, stehen Sie zu Ihren Schwächen. Bauen Sie Ihr Lebenshaus nach Ihren Vorstellungen. Bauen Sie bei Bedarf um. Füllen Sie Ihre Zeit mit Inhalten, die Sie sich wert sind.
ANECKEN, NICHT ANECKEN
Ich habe bewusst diesen Titel an die Spitze der Sammlung gestellt, weil er fließend vom Vorwort in die Materie übergeht. Ihre Position in der Gesellschaft, Ihr Selbstbild, Wollen und Sein wurde angesprochen und diese Thematik begleitet uns Alle täglich, ob wir uns damit aktiv befassen oder nicht.
Wir agieren, reagieren, gesteuert, reflexartig, automatisch, spontan, geplant. Jeden Tag passiert eine Vielzahl von Entscheidungen, wie immer sie zustande kommen. Auch Nicht-Entscheidungen passieren und diese sind auch Entscheidungen.
Ich beleuchte kurz die Spezies Mensch, die sich bemüht, durchzulavieren, ohne die Bande zu berühren.
Keine konkrete Positionierung zu einem Thema, Werten, Erwartungen. Aalglattes Gleiten im Gefüge, keine Konfrontation, keine Klarheit. Wendig Wellen schlucken, Hürden umlaufen, Gegenwind ausweichen. Immer die neutrale Ecke suchen, wenn keine vorhanden ist, ins Leere laufen. Sie vermeiden jede Angriffsfläche, sind optisch präsent, nicht inhaltlich.
Menschen ohne Ecken und Kanten fehlt eine geschliffene Persönlichkeit. Sie umrunden vielleicht erfolgreich offene Konfrontation, bieten jedoch Angriffsfläche im Versuch, diese zu verhindern. Individuen geben niemals ein neutrales Bild ab, wenn sie selbst keines vermitteln, machen sich Andere eines. Dann stehen Sie eben dafür, dass Sie für Nichts stehen, ein Ausweichertyp sind. Sie kommen in Turbulenzen, weil Sie diese vermeiden wollen und durch nicht Tun Ärger auslösen.
Wie vielen Herren wollen Sie dienen und was dient es Ihnen? Vermeidung, Unterdrückung verstärkt das, was es zu verhindern gilt. Versuchen Sie, nicht zu Niesen, es wird aus Ihnen herausplatzen. Wenn Sie es zulassen, können Sie es steuern. Eine Tarnkappe können Sie sich denken, Sie werden wahrgenommen, mindestens als farbloser Verweigerer.
Auffallen durch nicht auffallen wollen. Bemerkt werden durch abhanden Sein. Es geht nicht um Provokation, Streit herausfordern, es geht um Positionierung, Klarheit, Stellungnahme. ...
© "In der Defensive – Gedankenexpressionen": Rezension von Winfried Brumma (Pressenet), 05/2024. Für die Textauszüge aus Band 1 und Band 2 sowie die Abbildungen der Buchcover danken wir der Autorin Irene Roy sehr herzlich.
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